„Kamtschatka? Wo liegt denn das?“ war eine der häufigsten Fragen, die mir meine verständnislos dreinblickenden Mitmenschen vor meinem Reiseantritt gestellt haben. Kamtschatka, das ist der äußerste Zipfel von Russland, gegenüber von Alaska, auf der anderen Seite der Welt. Die Hauptstadt Petropavlovsk, gerade einmal 2000 km von Tokio entfernt und Teil des riesigen Russlands. Aber Kamtschatka ist noch mehr, es ist eine der letzten großen Wildnisse der Erde.
In der Zeiten der Sowjetunion war die Halbinsel Kamtschatka Sperrgebiet. So blieb die Natur in großen Teilen unberührt. Nach der Öffnung reagierte die UNESCO sehr schnell. So wurde die Vulkanregion von Kamtschatka 1996 zum Weltnaturerbe erklärt.
Wenn man so will ist Kamtschatka das Krematorium von Hawaii. In der Subduktionszone vor dem Inselbogen taucht die NW driftende Pazifische Platte und mit ihr auch die Inselkette von Hawaii unter die chinesische Kontinentalplatte ab, wo sie aufgeschmolzen wird. So entstehen die wunderschönen, Vulkankegel Kamtschatkas. 160 Vulkane wurden bisher gezählt, 28 davon aktiv. Ein Paradies für Vulkanologen und Fotografen und ein Ziel, das schon lange ganz oben auf der Liste meiner Reisewünsche stand.
Als ich aus dem Flugzeug klettere, empfängt mich ein makellos blauer Himmel und zwei auffällige, von weißen Mützen gekrönte Vulkankegel. Es sind der Avachynsky und der Koriaksky, die Hausvulkane von Petropavlovsk.
Für mich sind die ersten Eindrücke der russischen Republik ernüchternd. Von außen desolat aussehende Betonplatten, entstanden am Reißbrett der Sowjetunion, beherrschen das Stadtbild. Auch das Hotel, in dem wir residieren befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Doch wer genau hinsieht erkennt hier und da ein neues Fenster, einen neuen Laden, eine moderne Fassade.
Heute ist der Tag der Fischerei und ganz Petro feiert. Auf dem Platz, vor dem Lenindenkmal erklingt russischer Techno, flanieren junge russische Mädchen, wie aus westlichen Modezeitschriften entsprungen, tanzen Groß und Klein. Der Duft von Schaschlik, köstlichen gegrillten Fleischspießen, weht über die Uferpromenade. Die Stimmung ist entspannt. Bier fließt in Strömen aus zweieinhalb Liter Plastikflaschen. Die Unerschrockensten wagen sich sogar ins kalte Wasser des Nordpazifiks.
Nur einen Tag später besteige ich die Mi8, einen Russischen Transporthubschrauber im Methusalemalter. Vollbeladen bringt die Wuchtbrumme unsere Reisegruppe mit Kochgeschirr und Zelt zur Uzon Caldera im Kronotsky Nationalpark.
Die weite Schüssel der Caldera ist von ausgedehnten Sumpfgebieten bedeckt. Ein ideales Brutgebiet für Myriaden aggressiver Mücken auf der Suche nach Futter – nach mir! Der Pulk der schwärmenden ist zeitweise so dicht, dass sogar das Atmen ohne Moskitonetz problematisch wird. „Sieben auf einen Streich“ – kein Problem!
Früh am Morgen füllt Nebel die flache Schüssel. Während die Sonne langsam höher steigt, zeigen sich erste Dampfsäulen zwischen üppigem Grün. Igory Shpilenok schultert seine zweischüssige Bärenflinte. Als Ranger kennt er die Caldera und ihre Bewohner wie seine Westentasche.
Nach 2 stündigem Fußmarsch befinde ich mich in einer anderen Welt. Das Grün der weiten Ebene ist verschwunden, hierher wagen sich Pflanzen nicht vor. Den Boden bildet ein hellgrauer Panzer aus zersetztem Gestein. Dampf steigt auf, riecht es nach Schwefel. Vorsichtig bewege ich mich vorwärts; der Boden ist instabil, kann unter meinen Schritten jederzeit nachgeben. Hier ist die Erde noch heiß, zeugt von der vulkanischen Vergangenheit. Algen färben die unzähligen heißen Quellen in den unterschiedlichsten Farben. Zäh blubbert Schlamm in tiefen Töpfen. Und als ob das alles noch nicht phantastisch genug wäre, tauchen um die Mittagszeit zwei Kamtschatka-Bären auf, eine Mutter mit ihrem Jungen. Geplagt von den vielen Mücken, suchen sie Schutz im Thermalfeld.
Zusammen mit Igory pirschen wir und vorsichtig näher an die Bären heran. Wir wollen sie nicht stören. Während die Mutter uns völlig ignoriert und sich das saftige Gras schmecken lässt, hat der kleine Teddy uns bemerkt. Neugierig kommt er ein paar Schritte auf uns zu. Immer darauf bedacht sich nicht zu weit von seiner Mama zu entfernen, wüsste er schon gerne, was das für komische, klickende Wesen mit schwarzen Rohren im Gesicht sind, die da auf dem Hügel sitzen. Unheimlich sind die schon. Der Mut des Kleinen reicht nicht aus, da spielt er doch lieber wieder mit Mama. Plötzlich quiekt das Bärchen laut auf. In seiner Neugierde ist er in eine heiße Quelle getappt und springt nun in Windeseile zurück aufs Trockene. Oh jeh! Der arme Kleine! Er weicht jetzt nicht mehr von Mutters Seite, die ein Einsehen zeigt und ihren Spross sicher aus dem gefährlichen Thermalfeld herausführt.
Schmunzelnd sehen wir den beiden nach, wie sie über den Hügel verschwinden.