Erta Ale – Artikel „gofotoX“

Äthiopien, Vulkan Erta Ale, Lavasee

Schon früh am Morgen strahlt die Sonne vom makellos blauen Himmel. Noch ist es angenehm kühl. Ich sitze im Hotel in Mekele und genieße meinen letzten Milchkaffee für die nächsten Wochen. Mekele ist die Hauptstadt der Provinz Tiray im Norden Äthiopiens. Sie liegt auf einer Höhe von 2066 m über dem Meeresspiegel.

Am heutigen Tag liegt ein Höhensturz von fast 2200 Höhenmetern vor uns. Es geht hinab die Danakil-Depression, in die heißeste und vermutlich unwirtlichste Region dieser Erde. Hier, im so genannten Afar-Dreieck treffen zwei gigantische Bruchsysteme aufeinander, die die Platten der Erdkruste zerreißen. Das kontinentale Ostafrikanische Rift stößt auf das ozeanische, das das Rote Meer und den Golf von Aden geöffnet hat. Wäre da nicht der Danakilblock, der die Senke gegen das Meer abschottet, würde die Danakilwüste in Abschnitten mehr als 100 Meter unter Wasser stehen. Doch die Riftbildung ist bis heute nicht beendet. Genau hier, im Afar-Dreieck, steht die Erdkruste unter ungeheurer Spannung. Völlig ausgedünnt können sich jederzeit Risse entlang der Grabenachse bilden, aus denen Lava empor quillt. Schwarze, unendliche Basaltdecken bedecken große Areale des Grabenbruchs. An anderen Stellen bilden mächtige Salzfolgen die Grabenfüllung, Überreste aus Zeiten, in denen das Meer eingedrungen, die Senke überflutet war. Das ist der Platz an dem der Vulkan Erta Ale liegt. Eigentlich ein unbedeutender Schildvulkan, nur 613 m hoch. Seine Ausbrüche gefährden keine Menschenleben und wahrscheinlich würde sich niemand für diesen Vulkan interessieren, wäre da nicht eine Besonderheit, die alle Vulkanologen dieser Welt magisch anzieht, der LAVASEE. Der Erta Ale ist einer, der wenigen Vulkane weltweit, in dessen Krater ein See aus feuriger Lava bereits über lange Zeiträume aktiv ist. Auch mich zieht dieser Feuersee an, dafür nehme ich die strapaziöse Reise ans Ende der Welt auf mich.

Im Jeep geht es hinter Mekele durch eine satte und grüne Landschaft. Zu meiner Überraschung säumen Zypressen, Wachholder und Olivenbäume den Weg. Die mediterrane Vegetation geht jedoch bei 2000 m rasch in einen afrikanischen Trockenbewuchs mit Akazien, Yukkas und Dickblattgewächsen über. Bald verschwinden auch diese. Vereinzelte Akazien markieren ausgetrocknete Flussbette.
Mit dem Bewuchs ändern sich auch die Menschen. Von sesshaften Bauern im Hochland hin zu Kleinsippen, die mit ihren Tieren durch ein Land ziehen, das leerer und lebensfeindlicher kaum sein könnte. Gut getarnt kauern sich ihre domförmigen Flechtzelte auf den heißen Fels. Hier und da, am Wegesrand, steinerne Grabmonumente, Türme von Menschenhand geschaffen, in der Wüste zurückgelassen. Spröde klirrt das Gestein; unter dem Gewicht der Jeeps, den Sousè der Fahrer souverän über die schwierige Strecke manövriert.
Tiefer und tiefer dringen wir in die Eingeweide der Geburtsstätte eines neuen Ozeans vor, tauchen ab unter den Meeresspiegel, bis wir bei – 60 m die Beckenfüllung aus Anhydriten erreichen. Gesteine, die entstanden als der Ozean, der einst von der Senke Besitz ergriffen hatte, unter der unbändigen Hitze der Sonne verdampft ist.

Schon bald tauchen am Horizont die ersten Kamelkarawanen auf. Sie kommen, wie wir, aus dem Hochland und sind auf dem Weg zum Salzsee, wo sie morgen in aller Frühe ihre Salzfracht abholen werden. Hunderte Kamele ziehen in einer nicht enden wollenden Reihe an uns vorbei.

Als die Sonne untergeht erreichen wir ein das Salzarbeiterdorf. Wegen der Zwischenfälle, die es hier an der Grenze zu Eritrea immer wieder gibt, müssen wir hier übernachten. Erst vor einem Monat ist es zu Schüssen auf Touristenjeeps gekommen, dem entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen die getroffen werden.

Bei Sonnenaufgang folgen wir den Karawanen zum Salzsee. Unendlich erstreckt sich die Reihe der Kamele vor uns bis zum Horizont. Unterdessen sind die Arbeiter schon dabei, Salzplatten für den Abtransport vorzubereiten. Mit primitiven Äxten werden Kerben in die Oberfläche geschlagen. Die Muskeln bis aufs Äußerste gespannt, trifft die Axt auf spritzendes Salz, beugen sich die Holzstäbe unter dem Gewicht der Männer, bis die Oberfläche birst. Gemütlich dagegen, wie beim Handarbeitskränzchen, die Arbeit der Formatierer, die die Salzpolygone in Form bringen. Eilig werden die Tragtiere in mehreren Reihen geparkt und abgesattelt. Gierig lecken die Tiere das Salz vom Boden, während sie darauf warten beladen zu werden. Stolz sind diese Menschen; stolz auf ihre Arbeit und ihre Tiere.

Unsere Zeit ist begrenzt, wir wollen weiter zum Vulkan. Durch Dünen und Wadis geht es weiter, oder auch nicht. Einmal kurz den Schwung verloren und der sonst so versierte Sousè steckt fest. Es folgt die ganze Show: Ausgraben, Schieben, Sandbleche – GERETTET! Bald darauf verlassen wir die Sandpiste. Mühsam klettert der Jeep nun direkt in die Lavawüste hinein. Das unwegsame Gelände verlangt der Maschine einiges ab. „Besser schlecht gefahren als gut gelaufen“, denke ich mir, während es mich durchschüttelt. Schließlich kommt hinter einem Berg der flache Schild des Erta Ale zum Vorschein. Mit seiner zarten Gaswolke am Gipfel ist er unverwechselbar. 10 km sind es vom Absetzpunkt bis auf den Vulkan. Das sollte zu schaffen sein. Kamele tragen die Ausrüstung und das Wasser. Mir bleiben die Kameras, Stativ, Wasser und Jacke. Mit dem Einbruch der Dunkelheit machen wir uns auf den Weg. Nur Selam, der Führer weiß wo wir sind. 4 Stunden später tappe ich in der Finsternis fast über den Calderarand in den Krater. Wie, schon oben?

Von hier aus sehe ich in der Caldera den aktiven Südkrater leuchten. Jetzt hält mich nichts mehr. Vergessen ist alle Müdigkeit. Neugierig laufe ich zum Krater, dessen Durchmesser etwa zur Hälfte vom Lavasee eingenommen wird. Der schartige Rand, auf dem ich mich bewege und vorsichtig versuche Blicke auf das Inferno zu erhaschen, hängt auf ganzer Strecke brüchig über. Rostige Haken zeugen von den Mühen früherer Expeditionen. Etwa 80 m unter mir wallt frische Lava, dringt rot aus der Tiefe auf und verkrustet alsbald zu einer schwarzen Haut. Immer wieder, den Gesetzen der Konvektion folgend, bricht die Oberfläche auf, wandern schwarze Schollen wie Kontinente als Bruchmuster über den See, Plattentektonik en miniature.

Früh am nächsten Morgen erkunden wir die Umgebung. Neben dem Südkrater mit seinem Lavasee gibt es noch einen größeren Nordkrater. Er ist alt, die Wände schartig. Aus unzähligen Fumarolen steigt eine ätzende Gaswolke empor. Hier und da ragt eine Gesteinsspitze aus der wabernden weißen Wand. Gespenstisch. Die glühende Mittagszeit verbringe ich bewegungslos im Schatten der Felswand. Erst als das Quecksilber unter die 40° Marke fällt, kehrt das Leben in mich zurück. Ich umrunde den Südkrater und suche mir die besten Perspektiven für die blaue Stunde. Noch lange sitze ich am Abend an der Kraterkante und beobachte das Spektakel in der Tiefe. Mit Einbruch der Dunkelheit leuchten die brodelnden Ränder und Risse hellrot auf, lecken feurige Zungen am Gestein. Immer wieder tanzen kleine Lavafontänen über die Seeoberfläche. Über den dunklen Abgrund ziehen, wie in einem gigantischen Kamin, die rot beleuchteten Gase in den sternenklaren Himmel.

Nach 3 Tagen auf dem Vulkan machen wir uns auf den Rückweg. Um 6.00 Uhr bereit zum Abmarsch. Sobald die Sonne über den Grat des Vulkans erscheint, wird es brüllend heiß auf der schwarzen Lava. Entlang alter Lavaströme führt der Weg immer häufiger auch durch sandige Passagen. Ich habe Durst; ich brauche Schatten; mein Rucksack ist zu schwer und mit dicken Boots im lockeren Sand zu laufen ist auch nicht die Erfüllung. Wasser läuft Liter um Liter in mich hinein. Ich kann die lauwarme Brühe nicht mehr sehn. Bisher ist kein einziger Tropfen wieder aufgetaucht. Wo bleibt die Plörre bloß? Scheinbar ist das Zeug direkt in meine Schuhe gelaufen, meine Füße kochen jedenfalls. So trotte ich vor mich hin, froh als endlich der Jeep in Sicht kommt. Sousè wartet schon auf uns und nimmt Kurs auf Afdera. Hier können wir unser Lager am Ufer des gleichnamigen Sees an einer heißen Quelle aufschlagen. Sowohl ich, wie auch meine Klamotten haben eine Wäsche nötig, also hüpfe ich gleich angezogen hinein.

Frisch gewaschen und entspannt fahren wir in den Ort. Afdera gleicht einer Goldgräberstadt, ein wüstes Gewirr aus Hütten, Verkaufsbuden und wilden Müllkippen, ein Boomtown. Doch hier geht es nicht um Gold, es geht um Salz. In unglaublicher Geschwindigkeit wachsen die Salinen an den Ufern des Lake Afdera. Das dumpfe Brummen der Pumpen, die das salzige Seewasser in die flachen Verdunstungsbecken leiten, liegt in der Luft. Täglich kommen dutzende LKW um das weiße Gold abzuholen. Die Fernfahrer vergnügen sich in zahlreichen Bars. Bänke bespannt mit Ziegenlederstreifen, eine nackte Glühbirne an der Decke und zwei Kühltruhen in denen Cola und Bier lagern. In kleiner Runde, zusammen mit Selam unserem Guide und Sousè genieße ich unsere Rückkehr in die Zivilisation.

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